Claims richtig gestalten

Shop-Schrott

In meinen Handy-Apps nervt seit einigen Wochen das aggressive Marketing von 'Temu'. Was da dauernd als In-App-Werbung mit niedlichen Icons und in Zalando-, Lieferando-Orange aufpoppt, gehört zu einem chinesischen Konzern. Auf seinem internationalen digitalen Marktplatz, ähnlich wie Alibaba oder Shein, gibt es absurd billige Produkte für alle Lebensbereiche zu kaufen, und dies mit einem besonderen Merkmal: Je öfter ein Produkt erworben, andere Personen eingeladen und Rabatt-Codes verwendet werden, desto günstiger wird die Ware.

Schräger Claim

Über die ethischen Aspekte dieser Art Mensch und Erde ausbeutenden Unternehmen gäbe es viel zu sagen. Doch da es auf dieser Website um Kreativleistungen im Bereich Sprache geht, möchte ich das Augenmerk auf den Claim richten: "Shoppe wie ein Milliardär"! Dieser hat mich unter mehreren Gesichtspunkten irritiert.

Nicht nur, dass dieses Konsum-Konzept ganz weit entfernt von meinen Lebensträumen ist und als Appell irgendwie verstörend wirkt. Auch fühle ich mich als Frau dabei gar nicht angesprochen. Aber gut, was hier zählt, ist das Reizwort.

Wie shoppen Milliardäre?

Vor allem aber habe ich den Slogan bzw. den Begriff "Milliardär" nicht mit "Online-Shopping" zusammengekriegt. Wieso sollte sich ein Milliardär mit schnödem Online-Shopping beschäftigen? Genießt der nicht seine Freizeit auf Yachten, Kunstauktionen oder im Golfclub und holt bei Bedarf die Maßschneiderin ins Haus? Wie ist es wohl um das Konsumverhalten von Bill Gates oder der Familie Quandt bestellt? Lassen die nicht eher shoppen? Das gilt sicher auch für den Mann hinter Temu, Multimilliardär Colin Huang...

Mit jedem erzwungenen Blick auf die Werbung sinnierte ich, was "Shoppe wie ein Milliardär" im Zusammenhang mit dem unglamourösen Markenauftritt bedeuten könnte. Eine persönliche, erstklassige VIP-Behandlung, Privilegien, exklusive Einladungen vielleicht, das Versprechen eines luxuriösen Einkaufserlebnisses? Nein, nichts in Wort, Bild und Sounds der Anzeige deutet darauf hin. Der Shop ermöglicht womöglich Zugang zu exklusiven Produkten und Luxusartikeln für nicht wohlhabende Menschen? Hm, aber das Schaukelpferd-Icon im Logo passt auch da nicht wirklich.

Vom Shop zum Schrott

Als die Werbung wieder und wieder eingeblended wurde, habe ich schließlich, wenn auch widerstrebend (noch mehr Werbung mit jedem Klick!), nachgesehen, was es mit dem Shop auf sich hat. Und es erschloss sich mir, wie das Leben einer Milliardärin oder eines Milliardärs hier definiert wird: Sie oder er muss sich niemals Gedanken über das Shopping-Budget machen, es gibt keine Preisgrenzen nach oben. Und auf diesem chinesischen Dingsda kann, dank der Spottpreise, auch jeder wenig begüterte Mensch mit einem Gefühl der Grenzenlosigkeit alles Mögliche einkaufen. Die erworbenen Produkte können dann allerdings aus Qualitätsgründen meist direkt ab in die Tonne — was üblicherweise klar den Unterschied zum Luxusgut ausmacht.